Wie hieß das damals?
... Politisierung! Wie heißt das jetzt? - na ja.
Manuela hat von weitem noch nach ihm gewunken, ist dann, wie kurz vor
ihr Jochen, zwischen den vielen verschwunden. Kai läuft in die Steinmetzstraße,
zurück in die Alvensleben, Trauben von Flüchtenden hängen
am Parkdeck einer Garage, kleben am Gitter, kraxeln über Balkone
auf Mauern, die Bullen rücken zügig vor.
Die Luft riecht nach Rauch und nach Gummireifen, Kai wirft noch ein, zwei
Steine und flüchtet in die Steinmetzstraße, mit anderen nach
rechts, in den beruhigten Bereich, und hat, wie nahezu alle, die beiden
Bullenwannen, die in der Einfahrt ohne Licht auf sie gewartet haben, gleich
viereckigen Echsen, beinahe übersehn.
Die hintere Gruppe der Bullen hat die an der Spitze Rennenden abgefangen,
festgenommen, Kai hört das Knacken der Knöchel, in Handschellen
- am Blech das Blut. Kai ist abgebogen, ist weder länger stehngeblieben,
noch hat er im Laufen innegehalten, gestoppt. Ist über ein weiches
Autodach, Strafzettel hinter Scheibenwischern, auf eine Telefonzelle,
von dort auf eine Mauer geklettert, im Schatten eines Vorsprungs auf das
Remisendach. Unter ihm, Kai, hat ein Pärchen - Junge mit blauem Overall,
die Frau im roten Sommerkleid - nah bei der nächtlichen Zelle gestanden
und sich bei den Händen gefaßt: beider Gesicht eine Bitte,
zwischen den Lidern der Bullen das Tier.
Und als ein vereinzelter Pflasterstein das Blaulicht am ersten Wagen trifft,
klong, vom Blechdach abprallt, löst sich aus dem Schatten der Wanne
ein Polizeitrupp und läuft los. Flinke Finger, schnelle Schuhe, nur
die Plastikschilde bleiben - das Blecken bissiger Augen - in der Halterung
im Wagen hängen, »komm, Keule, laß stecken!«, zwischen
den Lidern der Itsch in der Ecke, Nager, der neben den Mülltonnen
pfeift.
Und da das Pärchen, rot und blau - »Du kennst das doch, das
Zögern?« - wartet, weil sie nur an seiner Hand, er nur an ihrer
Hand loslaufen möchte, nach verschiedenen Seiten, und sich, in den
Kniekehlen Laub, wadenhoch eine rostige Stange, ängstlich in die
Augen schaut, huschen halbierte Träume durch den dunklen Bereich
auf sie zu.
Blockinnenentkernung, denkt Kai auf dem Vordach und wartet, die Wange
am weißlichen Putz, bis die zusammengepreßten Zähne nicht
mehr aufeinanderschlagen und das Zittern aufhört, im Innern ein furchtsames
Fiebern, nach außen schweigsam und kalt. Und der Geruch des letzten
Kuhstalls in Schöneberg, der Innenstadt - noch ausgespart, kommt
auch bald weg - weht ihm vom Hinterhof her in die Nase, so daß er
den Kopf, ein wenig nur, wegdreht, um dem Duft, der fremd zwischen den
Fassaden hängt, angewidert auszuweichen - grotesk, denkt Kai, absurd.
Und wenn er links hinunterschaut, sieht er in der Remise die hellen Stellen
im gefleckten Fell, die Ärsche, die sich an der Mauer reiben, und
ahnt den Dampf der Nüstern, vorne am wiederkäuenden Maul. Doch
wenn er nach rechts hinüberschaut, sieht er die blinden Fenster in
den fast fertiggestellten Blöcken, die Wände, die jetzt rosa
sind im Licht bleicher Laternen, aber am Tage blau.
Und als die Bullen, jede Bewegung wirkt biegsam und klug, das Pärchen
- sie trägt ihr rotes Sommerkleid, er steckt im blauen Overall -
neben der Hecke erreichen, strauchelt die Frau, weil sie - der Junge wirkt
wie festgefrorn, die Augen vor ihm wachsen unter dem Plexiglasvisier -
einen Schritt ausweichen möchte, aber über die Stange stolpert,
die seitlich gegen ihr Wadenbein stößt, und langsam hintenüber
fällt, auf den spärlichen Rasen, der nach Holzkohle riecht.
Erst als der erste Bulle, nach einem kleinen Zögern, über die
Hecke hopst und zuschlägt, bewegt sich der junge, hebt beide Hände,
öffnet den Mund, zuckt mit den Lippen, bückt sich und beugt
seinen Körper über die liegende Frau. Noch immer, merkt Kai,
klappern die Zähne, sobald er den Mund öffnen will. Und während
im Fenster gegenüber, im ersten Stock, ein Farbfernscher läuft,
schlägt der zweite Bulle - zuvor zappelt er ungeschickt durch die
verhedderte Hecke - zweimal auf den Rücken des Jungen, der die Frau
am Boden abschirmt, mit gekrümmtem Körper über der Liegenden
kniet.
Als Kai erkennt, daß gegenüber, im Fernseher hinter der
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