II

Alles schwarz mit all den Fackeln und unter der Hochbahn und ohne ein Wort. Als die Spitze des lautlosen Zuges, der Trauermarsch, am Nollendorfplatz vorbeizieht, ist Kai ein Stück zurückgeblieben, um noch einen letzten Stein in eine der schummrigen Scheiben eines der schicken Ausstellungsfenster des Möbelgeschäftes zu werfen, im Glas spiegelt sich hellblau das Logo der Heilsarmee. Wir richten, bang, ein und steuern, bang, aus, Risse in riesigen Scheiben - Schöneberg, 19 Uhr 09.

Und während ihm eine knochige Frau mit weise, weise, weißem Haar und ausgestrecktem Zeigefinger die laue Luft vor dem Gesicht verrührt, den Kopf, sacht seitlich eingeknickt, zur linken Schulter kippt, hat Kai sich kaum bewegen können. Sie hat ihn lange angesehn: »Ich will ja gar nichts sagen, aber warum, mein Junge, zeigst du nicht dein Gesicht hinter der Maske?« Und weil Kai, Kämpfer und Artist, mehr als zwei kurze Schlenker braucht, um einen hochgewachsenen Mann, ebenfalls ein Gewaltfreier, von seinen Armen abzuschütteln, furchtbar hager, furchtbar kräftig, ratsch, ein rascher Tritt nach rückwärts, das hebt selbst den Grünkernkauer aus den Birkenstocksandalen, und weil Kai - »Du Nille! Laß mich endlich los!« - langsam nicht mehr lächeln kann, hat er noch mal zugetreten, am Rand der Menschen, die schweigen, mit Fackeln vor dem Gesicht.

Und während drüben, nah beim Neubau, Edelschuhchen, Kaschmirtürken eilig mit dem Benz rangieren, eben noch der Boß im Kebab - alle stehn, kein Hals, nur Schultern, eingezogen, angezogen, lachen, wenn der Große lacht, mit den großen, goldnen Zähnen - der jetzt an den Zierbuschkübeln seine Kotflügel zerschubbert, während der Türke, »ich will hier weg - isteriyorum!«, hastig Gas gibt und bloß hoppelt, öffnet sich der Trauerzug zur Kreuzung, zur Stelle mit den Kränzen wie ein Grab.

Als Kai die Kreuzung erreicht, hat die Arbeit, es ist eine Arbeit, tu nur deine Pflicht, schon begonnen. Die Bullen haben den Schweigemarsch, den schwarzen Trauerzug nicht begleitet, stehen nun in den Nebenstraßen, und weil es zuviel Menschen sind, stehen sie zu weit weg. Einige Maskierte zerschlagen gemeinsam mit einer Gruppe türkischer Kinder zuerst die Scheiben der Deutschen Bank und dann die Scheiben der Commerzbank, die, einander gegenüber, direkt an der Kreuzung stehn. Die, die nicht hoch genug werfen können, graben die Steine aus dem Pflaster und reichen sie nach vorn. Kai, allein unter der Hochbahn, sieht hinauf zum dritten Stock. Zu dem Balkon des geräumten Hauses, von dem herab am Mittag der Senator seine Sätze geredet hat, keine sieben Stunden her. Kai sieht, wie die Herthafrösche, die mit den blauweißen Schals und Mützen, die mit bin- stolz-drauf-ein-Deutscher-zu-sein, zuerst nur am Rand, dann an der Spitze des Zuges mitgelaufen sind: endlich, endlich eine Schlacht! - Wer hat uns verraten? - Sozialdemokraten! - Kai muß ein bißchen grinsen.

Die Stelle mit den Blumen ist auseinandergetreten worden, nur wenige haben neben den Kerzen mit Rotz um Augen und Nase, mit Bier im Bauch ausgeharrt. Es wird erzählt, daß die Bullen die Stelle geräumt und die Kränze zertreten hätten, mit Tränengas in die Trauernden, die auf dem Gehweg und der Fahrbahn gesessen haben, geschossen hätten, Kai muß feixen, denn immer schwingt in den Berichten ein Bullen-sind-böse mit. Jetzt sieht er sich um. Die abgestellten Bauwagen werden von den Rinnsteinen weg in die Mitte der Fahrbahn gezerrt und umgekippt und angesteckt, im Innern klirrt das Werkzeug. Alle Scheiben der Geschäfte auf der Potsdamer Straße, zwischen Bülowstraße und Kleistpark werden nach und nach eingeschlagen, einige Läden brennen. Er reckt sich auf die Zehenspitzen, klettert auf ein Straßenschild, schwenkt einen Schleier aus dem Geschäft für Hochzeitskleider, der Tote hockt dicht bei ihm, schaut ihn an.

Und als die Bullen durchbrechen, ist Kai, eingekeilt zwischen den Menschen, in die Alvensleben- und später in die Steinmetzstraße abgedrängt worden und ist ein Stück gerannt. Um seinen rechten Unterarm hat er einen blauweißen Wollschal gewickelt:

<- back | next ->