III

Als Erich am frühen Nachmittag neben Vera aufwachte, nachdem der ruppige Radiowecker nahe bei seinem Kopf über den Haaren losgeplärrt hat, immer nur um halb im RIAS, immer voll beim SFB, wußte Erich, auf die Plätze, für zwei, drei Sekunden nicht mehr, wo er war - und fing an zu schwitzen. Dann hat er neben sich den Kopf, die rötlich dunklen Locken, das dichte Haar gesehen, vergraben zwischen Kleidungsstücken, dem Bettdeck, einem Kissen. Vera, hat Erich gedacht.

Veramaria, der Name ist seltsam, Maria klingt schlank, Vera grob, breite Hüften, Maria, hat Erich gedacht, Maria, das paßt überhaupt nicht zu ihr. Er hat sie, nach einem Zögern, am Hals berühren wolln.

Doch sind ihm die Finger dann hängengeblieben, denn das Fietschen kleiner Vögel im Gebüsch vor einer Scheibe hat ihm, etwas bin ich doch erschrocken, die Bilder des vorherigen Abends wieder zurückgebracht.

JETZT REDET DAS RADIO VON RÄUMUNG.

Sie waren gestern nachmittag mit Schlafsäcken und Unterlegmatten ins Jugendzentrum gegangen, um zum zweiten Mal dort, und nicht im von der Räumung bedrohten Haus zu übernachten: Wenn nicht, meinte Kai, am Montag, dann am Dienstag, vor den wichtigen Revieren stehn die Fahrwachen und warten, also wir bekommen, wenn die Räumfahrzeuge ausrücken, noch rechtzeitig Bescheid.

JETZT REDET DAS RADIO VON RÄUMUNG.

Sie hatten noch beieinandergesessen, wenige waren schon schlafen gegangen, sie hatten eine Zeitlang geschwiegen, sie hatten Mineralwasser und einige hatten Kaffee getrunken, sie waren im Raum umhergelaufen und hatten sich wieder gesetzt. Sie hatten, in einer Ecke, über den Kleinen geredet, und Erich hatte nur zugehört und währenddessen gekippelt. Er ist, hatte Kai gesagt, ein Verräter, weil er, hatte Kai gesagt, schon bei den Bullen gequatscht hat, statt die Schnauze zu halten. Und deshalb, hatte Kai gesagt, kriegen die anderen keine Bewährung. Das stimmt schon, hatte Manuela, ein Murmeln nur, hinzugefügt, und stimmt auch nicht, sie lächelte, das Lächeln war für Erich dann das Urteil: Wer redet, auch wenn er nicht reden wollte, bleibt, sagten ihre Lippen, bleibt ein Schwein.

Und, hatte Kai gebrubbelt, so daß es allein Erich gerade noch hatte hören können, Verräterschweine, knurrte Kai, die kümmern uns nicht mehr. Und Vera hatte angesetzt und hatte gesagt: Aber... Und Jochen hatte leise, als würde er sich schämen, genuschelt, er sei andrer Meinung, und Vera hatte Erich, noch ehe Jochen weitersprach, rasch zugezwinkert, beide hatten sich von den anderen ein Stück weit weggesetzt.

JETZT REDET DAS RADIO VON RÄUMUNG, und Vera räkelt sich.

Und während die andern palavert hatten - Verteidigung, Verräter, Verhandlungen: nein, nie! - hatte Vera Erich zu sich auf den Schoß gezogen und hatte ihn angelächelt.

Das hatte Erich verlegen gemacht. Deshalb war er an ein Bierglas gestoßen. Das Bierglas war sehr langsam umgefallen. Das blonde Bier auf der grasgrünen Platte war in einem Rinnsal bedächtig bis vor zum Rand gelaufen und dort von der Kante der Tischtennisplatte gemächlich auf den Teppich getropft. Eosin, hatte Erich geflüstert und ihren weiten Pullover betrachtet. Durch die großen, groben Maschen konnte man die Brüste sehen. Er hatte gedacht: Das sieht gut aus.

Sie hatte gedacht: Du duftest. Aber du duftest nach billigem Essen. Dann hatte sie ihn, du bist schüchtern, hinter den Ohren geleckt.

JETZT REDET DAS RADIO VON RÄUMUNG, von der Räumung der acht Häuser, sechs im Besitz der Neuen Heimat, vier davon in Schöneberg.

Um drei Uhr nachts, als immer noch keine Nachricht von den Fahrwachen vor den Polizeikasernen gekommen war, hatte sie gesagt: Komm, laß uns gehn.

»Die anderen im Raum hatten geschlafen, wir hatten uns, sehr leise dann, verpißt.«

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